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48h Fläming

25. Dezember 2012

Stille Nacht, eilige Nacht

Die wahre Weihnachtsgeschichte

Alle Jahre wieder beglückt uns die Kirche um Weihnachten herum mit dem immer gleichen Märchen der Geburt ihres Romanhelden Jesus Christus in Bethlehem. Ein wild zusammen­gestop­pelter Flickenteppich aus sich wider­sprechenden Evangelien des Neuen Testaments, verdrehten historischen Fakten, Einstreuungen aus den Apokryphen sowie zahlreichen Veränderungen und Umdichtungen über Jahrhunderte hinweg. Kaum jemand weiß noch, was sich damals wirklich zugetragen hat.

Und so begab es sich im Jahre achistdochauchegal, daß in Bethlehem die Vorberei­tungen für den alljähr­lichen großen Sommer­schluß­verkauf in die entscheidende Phase eintraten. Dieses seit vielen Jahren stattfindende und zu damaliger Zeit weltweit einzigartige Ereignis lockte stets tausende Pilger und Touristen aus nah und fern in die Stadt, denen sich die Chance auf einzigartige Schnäppchen darbot.

Auch im beschaulichen Dörfchen Nazareth, nahe der geplanten Schnellstraße 75, bereitete sich Maria, gleichwohl im achten Monat schwanger, auf die gut 120km lange Reise nach Bethlehem vor, denn auch sie wollte sich die große Rabatt­schlacht nicht entgehen lassen. Ihr Mann Joseph war davon allerdings überhaupt nicht begeistert. Seine Sorge galt nicht nur seinem Kontostand – der Kredit bei seiner Bank war ohnehin schon arg gebeutelt –, sondern vor allem natürlich seiner hoch­schwangeren Frau. Mußte sie ausgerechnet jetzt noch, so kurz vor der Geburt, eine solche Strapaze auf sich nehmen? Doch an großzügigen Rabatten und roten Preis­schildern kam schon damals kaum eine Frau vorbei; er konnte seiner Maria ohnehin noch nie etwas abschlagen.

So kurz vor ihrer Niederkunft beschäftigte Joseph allerdings auch immer noch eine andere, fast dringlichere Frage. Er konnte sich bis heute beim besten Willen nicht daran erinnern, was vor rund acht Monaten damals in der Nacht geschah. An jenem Tag hatte er auf dem Markt bei einem alten, bärtigen Mann Cola und eine Flasche Holunder­geist gekauft, um mit seiner Frau einen gemütlichen Abend zu verbringen. Auf der verstaubten Schnaps­flasche prankte ein großes Etikett: „Hl. Geist 40%“. Der rausch­bärtige Alte kicherte geheimnis­voll, als Joseph bezahlte. Verwundert ging er heim.

Als er am nächsten Morgen erwachte, war die Flasche leer und sein Kopf dröhnte, darinnen nur ein schwarzes Loch. ‚Was für ein Schädel­spalter.‘, dachte Joseph mühsam. Und nun stand er kurz davor, erneut Vater zu werden, ohne wirklich sicher sein zu können, daß das Kind tatsächlich von ihm war. Aber im Vertrauen auf die irgendwann kommenden Vater­schafts­tests schob er seine Bedenken zur Seite.

Der Reiseführer „Mit Lukas durch Bethlehem“ empfahl für die Tage des Sommer­schluß­verkaufs das Übernachten in einem der zahlreichen Ställe. Diese standen weitest­gehend leer, da die Hirten mit den meisten ihrer Tiere auf den Feldern und Weiden waren. Das wäre nicht nur deutlich kosten­sparender, sondern vor allem für junge Paare doch auch sehr viel romantischer als eine der üblichen Herbergen. Den Hausesel bepackt mit dem Nötigsten für die weite Reise sowie einer Menge leerer Taschen und Beutel machten sich die beiden also auf den Weg. Maria war ob ihrer Umstände schon ein wenig erschöpft, aber frohlockend, Joseph hingegen mürrisch und schlecht gelaunt.

Die Weisen im Morgengewand

An einem anderen Ort etwas weiter östlich machte sich zur selben Zeit eine kleine Gruppe dreier guter Stammtisch­freunde ebenfalls auf den Weg nach Bethlehem zum SSV. Auch Calle, Manni und Balduin wollten das ein oder andere Schnäppchen ergattern und bei der Gelegenheit auch einen entfernten Verwandten besuchen. Ihr vierter Kumpel Olli hatte nach durchzechter Nacht kurzfristig abgesagt. Da es mit dem öffentlichen Nahverkehr mal wieder haperte, schlossen sich die drei einer Karawane der Bethlehemer „Sternburg Brauerei“ gen Westen an.

„Wir folgen einfach dem ‚Sterni von Bethlehem‘.“ witzelte Calle. Doch die anderen beiden fanden das überhaupt nicht lustig, den ganzen Weg laufen zu müssen, teilweise gar durch die Wüste. Ausnahmsweise traf die Bahn diesmal keine Schuld, denn die war ja noch gar nicht erfunden worden.

Ihr Reiseführer „Mit Matthäus durch Bethlehem“ riet Besuchern des SSVs, sich in einer Herberge oder Ferien­wohnung einzumieten, um nach einem anstrengenden Tag auf den Märkten entspannt die Füße hochlegen zu können. Als Geheimtip empfahl Matthäus’ Reiseführer ein weithin unbekanntes Haus am Rande der Stadt; dieses wollten die drei Wüsten­freunde ansteuern.

Mit ihrem schnoddrigen Mundwerk gelang es ihnen schnell, sich mit dem Leiter der Karawane anzufreunden, was schließlich auch die Stimmung von Manni und Balduin verbesserte – mit etwas Bier und einer Fluppe aus geheimnis­vollen Kräutern marschiert es sich doch deutlich entspannter.

Wochenstall

Maria und Joseph waren nach mehrwöchiger Reise in Bethlehem eingetroffen und hatten es sich nach einem langen, ersten Tag auf den SSV-Märkten im Stall bei der örtlichen Kneipe gemütlich gemacht. Umgeben von weichem Heu und ebenso weichen Tieren ließen sie den Tag Revue passieren, während in der hinteren, gemütlich-schummrigen Ecke des Stalls friedlich und leise zwei Schafe kopulierten.

Neben etlichen anderen Schnäppchen hatte Maria am ersten Tag beim SSV eine alte Wand-Sonnen­uhr mit manuellem Kalendarium ergattern können. Die metallenen Kalender­scheiben waren allerdings festgerostet, weshalb die Uhr auch als defekt zum Sonderpreis verschleudert wurde. Joseph protestierte zwar noch, aber Frau und rotes Preisschild – da gab er sich geschlagen. Vor seinem geistigen Auge verfärbten sich auch die Zahlen auf seinem Kontoaus­zugs­stein bereits tiefrot.

Gerade als er noch darüber sinnierte, wie er seinen EC-Stein jemals wieder ins Haben bringen sollte, setzten bei Maria plötzlich die Wehen ein. Ganz der starke Mann, der er war, sackte er im Augenblick der Geburt seines Kindes bewußtlos zusammen, während in der hinteren, gemütlich-schummrigen Ecke des Stalls friedlich und leise zwei Ziegen kopulierten.

Wüste Söhne

Die drei Kumpels der Wüste genossen ihre Reise und erreichten eines Abends schließlich ebenfalls, im wahrsten Sinne des Wortes sternhagelvoll, ihr Ziel – Bethlehem. Auf der Suche nach dem Haus, welches ihnen von Matthäus empfohlen worden war, wankten sie gemächlich durch die Stadt. Als sie sich schließlich am Ziel wähnten, klopften sie beherzt an und siehe – ihnen wurde aufgetan.

„Herbert!“ rief die resolute Frau nach hinten in die Stube. „Sind det hier etwa wieda Suff­kumpels von dich ausse Kneipe ums Eck?“ „Hmm? Nee, die würd’ ick kennen.“ grummelte es von hinten. „Ihr habts jehört, Jungs!“ Mit sattem Rumms fiel die Tür wieder ins Schloß. Die drei schauten sich verdutzt an, so gut es eben noch ging.

Ziellos und mühsam das Gleichgewicht haltend irrten sie durch Bethlehem, als sich das zahlreich genossene Bier zunehmend wieder seinen Weg nach draußen bahnen wollte. Hastig und mit verknif­fenem Blick fragten sie den nächstbesten Passanten nach einem stillen Örtchen zur Verrichtung ihrer dringenden Notdurft. Zwar verwundert ob der sonderbaren Gewänder, wies ihnen der gute Mann jedoch freundlich den Weg zum öffentlichen Münz-WC am Marktplatz. Später am Abend sollte er seiner Frau noch von dem seltsamen Erlebnis mit den „Eiligen drei Königen“ berichten.

Erleichtert, aber nicht weniger schwankend, streiften die Freunde weiter durch die Stadt, als Calle ganz plötzlich innehielt – sein Blick verfinsterte sich, und in nur wenigen Metern Entfernung erschien ihm hell leuchtend, einem grazil-brennend abstürzenden Flugzeug gleich, eine engelsgleiche Gestalt. Verzaubert und gefesselt von diesem märchen­haften Anblick wagte er kaum noch zu atmen – konnte es wirklich wahr sein? Sollten tatsächlich Engel ihnen den Weg weisen? Natürlich hatte er früher Super­helden-Comics gelesen, aber das hier war völlig anders. Beseelt lächelnd reckte er dem Engel seine Hand entgegen, woraufhin ihm dieser jedoch lediglich ein donnerndes „Suffkopp!“ an den Kopf warf und verschwand. Irritiert hielt Calle inne, als er aus der Ferne erneut den Ruf „Suffkopp!“ vernahm. Und die Stimmen kamen näher.

Allmählich schwand auch die Dunkelheit wieder aus seinem Blick und er erkannte vage seine beiden Begleiter, die sich besorgt über ihn beugten, als er langsam wieder zu sich kam. Sein Kopf schmerzte, und als er sich mühsam aufrichtete, sah er vor sich arg verschwom­men die Laterne, gegen die er gelaufen war. Die drei versprachen, über diesen Zwischenfall Still­schweigen zu bewahren und Calle schwor sich, beim nächsten Mal einen großen Bogen um die Laternen zu machen, anstatt zwischen ihnen hindurch laufen zu wollen.

Begegnungen

Übermüdet und mit reichlich Schlagseite erreichten die drei schließlich den Stall, in welchem Maria kurz zuvor ihr Kind zur Welt gebracht hatte. Mit schwerer Zunge baten sie um Unterkunft, während in der hinteren, gemütlich-schummrigen Ecke des Stalls friedlich und leise Josephs Esel und eine Eseldame aus der Region kopulierten.

Joseph, selbst immer noch etwas rammdösig ob seines Schwäche­anfalls bei der Geburt seines Sohnes, hieß die drei ironisch willkommen: „Immer herein. Wir haben durchgehend geöffnet. Bringt doch gleich die ganze Verwandt­schaft mit! Was darf es zu Trinken sein?“ Maria wies ihn mürrisch zurecht und entschuldigte sich bei den Reisenden, woraufhin auch Joseph klein beigab. Das alles war doch etwas zuviel für ihn. Natürlich platzte er vor Stolz auf seinen Stamm­halter, auch wenn er seinen Sohn lieber „Karl-Heinz“ genannt hätte. Maria jedoch bestand auf dem Namen „Jesus“, und er konnte ihr ja ohnehin nie etwas abschlagen.

Die beiden schmiegten sich zusammen mit ihrem kleinen Jesus eng aneinander, während in der hinteren, gemütlich-schummrigen Ecke des Stalls friedlich und leise zwei der Wüsten­reisenden … also sie schliefen ihren Rausch aus. Einzig Calle hielt sich noch gerade so aufrecht und blickte verwirrt auf die Wanduhr mit dem kaputten Kalender. „25. Dezember?!“ dachte er bei sich. Irritiert sank er ins Heu und fiel in einen tiefen, barmherzigen Schlaf.

Und wenn sie nicht an Leberzirrhose gestorben sind, dann saufen sie noch heute.

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