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2014

27. Oktober 2014

Alle Herbste wieder

Erntedankheuchelei

Es wird Herbst, die Blätter fallen und die kirchliche Schein­heilig­keit steht in voller Blüte. Es ist die Zeit der Erntedank­gottes­dienste. Millionen Gläubige danken ihrem Gott für reiche Ernte und einen wohlig satten Bauch. Doch dieser Dank ist ebenso ungerechtfertigt wie verlogen.

Hübsch herbstlich dekoriert präsentieren sich dieser Tage viele Kirchen, um gemeinsam mit den Gläubigen Erntedank zu feiern. In vielen Gemeinden mit christlichen Kinder­gärten gehört es dazu, daß auch die Kinder ein kleines Programm zur Aufführung bringen, dabei Ernte­gaben in die Kirche tragen und Gottes große Liebe besingen. Und die Kinder sind durchaus mit Freude dabei, sind sie solche Lobpreisungen und Dank­sagungen doch aus ihrem Alltag gewohnt. In kirchlichen Kinder­gärten gehören Tischgebete zum Standard­repertoire, um durch permanente tägliche Wiederholung den christlichen Aberglauben in den Köpfen der Kleinen festzunageln. Ein übliches Beispiel:

Jedes Tierlein hat sein Essen,
jedes Blümlein trinkt von Dir.
Hast auch uns hier nicht vergessen,
lieber Gott, wir danken Dir.
Amen.

Ob die Kinder das wohl auch tun würden, wenn sie wüßten, daß gleichzeitig während ihres Auftritts in der Kirche zu Ehren Gottes derselbe Gott ihre Alters­genos­sen in den ärmsten Regionen der Welt qualvoll verhungern läßt? Wohl­weislich sagt ihnen niemand, daß alleine während eines üblichen Ernte­dank­gottes­dienstes weltweit ca. 500-600 kleine Kinder den Hungertod erleiden, Kinder genau wie sie selbst, welche am Altar stehend religiöse Texte wie „Deine Liebe ist so groß“ singen. Und die Gläubigen sind ob der Darbietung zutiefst verzückt, dabei gewissens­betäu­bend sich selbst belügend und das Elend der Welt ebenso wegheu­chelnd wie 15.000 verhungerte Kinder jeden Tag. Dieser Gott muß in fort­geschrit­tenem Stadium dement sein, wenn er all diese Kinder eben doch vergißt.

Aber derartige Arroganz und gleichgültige Ignoranz findet sich häufig im Christentum. Es ist keine Seltenheit, wenn nach einer schlimmen Katastrophe gläubige Überlebende ihrem unsicht­baren Freund für die Rettung danken. Aber warum ausgerechnet sie? Halten sie sich für etwas Besseres? Hatten die anderen Opfer nicht dasselbe Recht darauf, von Gott gerettet zu werden? Und vielleicht war ja auch gar nicht Gott der Retter, sondern der Teufel hat einen nur übersehen? Man weiß es nicht. Nun mag es dem schweren Schock nach einem solch trauma­tischen Erlebnis geschuldet sein, wirres Zeug zu stammeln, doch mit dem Dank an einen Gott für das eigene Überleben stellt man sich selbst über die anderen Opfer und verhöhnt damit noch all jene, die nicht das unverschämte Glück wie man selbst hatten und den Tod fanden.

größeres Bild Das Welt­geschehen wäh­rend 45 Minuten Gottes­dienst

Ein Ernte­dank­gottes­dienst ist in dieser Hinsicht auch nichts anderes. Man ist froh, daß die eigene Ernte reichlich war, der Kühlschrank voll und der eigene Bauch immer dicker wird. Gleichzeitig wird die über­bordende Barm­herzig­keit und unendliche Liebe Gottes zu den Menschen gepriesen – nach Vorstellung der Gläubigen eine Liebe so schier unbe­schreib­lich groß, daß es quietscht.

Komisch nur, daß dieser liebe Gott in der Bibel gar nicht so liebevoll daherkommt, sondern egoistisch, rachsüchtig, gewalttätig und grausam. Komisch auch, daß der unsichtbare Freund seine Zuneigung in der heutigen Welt offen­sicht­lich nur denjenigen zukommen läßt, die er leiden kann und denen er auch etwas zu beißen gönnt, denn: Wenn es Gottes Werk sein soll, daß bei uns die Erde reiche Ernte hervorbringt, dann ist es auch des gleichen Gottes Schuld, wenn anderswo nichts gedeiht und die Menschen Not leiden. Zu diesem logischen Schluß sind die meisten Gläubigen allerdings nicht in der Lage. Für sie sind Gottes Wege bekanntlich uner­gründ­lich und der Herr wird schon das Richtige tun, denken sie sich und geben sich damit zufrieden. Überspitzt könnte man diese Haltung auch so formulieren: „Lieber Gott wir danken dir, daß die Neger hungern und nicht wir. Amen.“ Dieses ironische „Gebet“ bringt mit all seinem komprimierten Zynismus und seiner Menschen­verach­tung die kirchliche Heuchelei präzise auf den Punkt.

Denn wo bitte steckt denn dieser unfähige Gott, wenn er wirklich mal gebraucht wird? Wenn er doch angeblich vor großer Liebe nur so strotzt und nahezu platzt vor Barm­herzig­keit, wie die Kirchen mit gewaltigem, dabei aber beein­druckend sinnfreiem Wortschwall nicht müde werden zu verkünden, warum greift er dann nicht mal denjenigen helfend unter die Arme, die sich noch nicht selbst helfen können wie z. B. den Kindern Afrikas? Auch in den dortigen trockenen Regionen gäbe es genügend fruchtbare Böden, warum kann dort nicht einmal durch ein kleines „göttliches Wunder“ etwas dringend benötigte Nahrung wachsen oder zumindest mehr Regen fallen, um der Bevölkerung etwas Zeit zu verschaffen? Für einen angeblich Allmäch­tigen sollte das eigentlich eine leichte Übung sein, doch es passiert rein gar nichts. Allein durch Gottes Hand wächst eben nichts, und ohne Bewirt­schaftung verkommt auch fruchtbarer Boden irgendwann zur Steppe oder gar Wüste.

Letztlich sind es eben doch einzig und allein Menschen, denen wir unsere Nahrung zu verdanken haben. Landwirte, Viehzüchter, Agrar­ingenieure uva. – ohne die tägliche Arbeit dieser vielen fleißigen Hände hätte auch der Pfarrer nicht einen müden Krümel auf seinem Teller, selbst wenn er noch so viel betete. Warum wird diesen Menschen nicht gedankt? Auch die Kita-Kinder werden wahr­schein­lich eher selten dazu ermuntert, einfach von Zeit zu Zeit mal ihrem Koch eine kleine Freude zu bereiten, der ihnen täglich ein leckeres Mittagessen auf den Tisch zaubert. Stattdessen erntet ein 3000 Jahre altes Hirngespinst vollkommen unverdienten Dank und die Gläubigen ergehen sich in barm­herzig­keits­besof­fenen Lobprei­sungen und demütiger Unter­würfig­keit vor bronze­zeit­licher heißer Luft. Nur: Vom Beten allein ist noch nie auch nur ein einziger Mensch satt geworden, wie auch Beten generell noch nie irgendeinen Nutzen für die Welt hatte. Beim Hochwasser 2013 in Mitteleuropa waren nicht diejenigen die wirklichen Helfer, die in ihren warmen, trockenen Kirchen für ein Ende der Flut gebetet haben, sondern die Menschen, die unter Einsatz zumindest ihrer Gesundheit, wenn nicht gar ihres Lebens, auf den Deichen standen und Sandsäcke gestapelt haben. Was hat die ganze Beterei dabei genützt? Absolut nichts, außer das Gewissen der Gläubigen zu beruhigen und ihnen das ver­meint­liche Alibi zu verschaffen, auch etwas getan zu haben.

Ohne die millionenfache und oftmals aufopfe­rungs­volle Arbeit von Menschen ist dieser christliche Gott ganz offen­sicht­lich zu rein gar nichts in der Lage, um seiner Schöpfung das Überleben zu ermöglichen – ein ziemliches Armuts­zeugnis für den angeblichen Erschaffer des Lebens, des Universums und des ganzen Restes. Stattdessen hetzt dieser unsichtbare Stümper den Menschen Natur­katastro­phen und üble Krank­heiten wie Pest und Ebola auf den Hals, schaut ansonsten aber tatenlos zu, wie die Welt – frei nach Schopen­hauer – zappelt, leidet, blutet und stirbt, wie seine angeblich so wunderbare Schöpfung in ihrer ganzen behaupteten Schönheit sich gegenseitig auffrißt oder qualvoll verhungert. Und all das soll „große Liebe“ sein, für die am besten schon kleine Kinder diesem Herrn im Himmel Danke sagen sollen? Was für ein armseliger Gott, was für eine verlogene Kirche, was für ein erbärmlicher Aberglaube!

Nun ist es zugegebenermaßen etwas unfair, einer reinen Phantasie­figur derartig schwere Vorwürfe zu machen. Jemand, der nicht existiert, ist mit seiner Nicht­existenz schon gestraft genug. Dieses Schicksal teilt der christliche Gott mit seinen zehn­tausen­den Kollegen, die sich die Menschen im Laufe ihrer langen Geschichte ausgedacht haben. Bezeichnend und geradezu sympto­ma­tisch in praktisch allen bedeutenden religiösen Wahn­systemen allerdings ist die Tatsache, daß die Gläubigen ihrem jeweiligen Gott offen­sicht­lich immer nur die guten Dinge zuschreiben, während an allem Schlechten der Mensch selbst schuld ist bzw. es sich nur um eine „Prüfung Gottes“ handelt, hinter der dann doch wieder eine tiefere und selbstredend positive Absicht steckt, die es noch zu ergründen gilt. Aber Schuld an irgendetwas hat ein Gott in der Welt der Gläubigen praktisch nie.

Oder hat man je gehört, daß Gläubige sich mal lautstark bei ihrem unsicht­baren Freund beschwert und ihm auf die Finger geklopft hätten? Hat je einer statt eines Dank- oder Bittgebets mal ein gepfeffertes Schimpf­gebet gesprochen, wenn dieser Gott mal wieder seine Schöpfung vernach­lässigt oder das Wetter verschusselt hat? Das eingangs erwähnte Tischgebet ließe sich hierzu treffend umformulieren:

Katastrophen, Not und Elend,
täglich leiden Mensch und Tier.
Kleine Kinder sterben hungers,
lieber Gott, was denkst Du Dir?
Amen.

Aber nein, nichts desgleichen. Selbst im Fall einer verheerenden Mißernte, bei welcher das gesamte Feld verkommt und nur ein einziges, winziges Mais­kölbchen übrigbliebe, würden die Gläubigen auch dafür noch Danke und Amen sagen, statt in einem „Ernte­beschwerde­gottes­dienst“ kollektiv zu reklamieren und Schaden­ersatz zu fordern, alternativ Erzwin­gungs­haft wegen unterlassener Hilfeleistung. Doch mit derartig selektiver Wahr­nehmung der Realität, ohne wirklich selbst­bestimm­tes Handeln und insbesondere ohne kritisches Denk­vermögen sind die Gläubigen tatsächlich nichts weiter als das, was die Kirche in ihnen sieht – Schafe.

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